Unser Berufungsverfahren zu einer Abseilaktion über der A7 bei Schleswig wurde am 18.7. in Flensburg fortgesetzt. Dabei geht es um Protest auf (oder eher über) Autobahnen, wo im Jahr 2020 durch Abseilaktionen und mit Transparenten an Brücken für eine klimagerechte Verkehrswende demonstriert worden war. Ohne ein Urteil sitzt eine der Angeklagten jetzt für sieben Tage in Ordnungshaft – mehr dazu auch hier: Berufungsverhandlung endet ohne Verurteilung im Knast
Prozessbericht vom ersten Verhandlungstag (18.07.2024)
Um 11:30 Uhr treffen sich die Unterstützenden vor dem Flensburger Landgericht. Bei deutschem Schlager und Pfannkuchen läuft das Ganze noch sehr harmonisch an.
Doch wenig später beginnt das Gericht entschlossen zu eskalieren: Einlasskontrollen mit Perso-Kopien, Taschendurchsuchungen und Abtasten am ganzen Körper. Jeder Gegenstand, der sich unter Ach und Krach irgendwie werfen ließe, wird schon mal provisorisch konfisziert. Genderqueeren Personen wird eine angemessene Durchsuchung verwehrt, sodass diese von Beginn an keinen Zugang zum Saal haben. Durch die Kontrollen verzögert sich der Beginn der Verhandlung um eine halbe Stunde.
Das Aufstehen bei Betreten des Saals durch den Richter wird eingefordert, wie in der Schule. Nur, dass hier etwa ein Dutzend Menschen gelassen sitzen bleibt. Sofort wird das halbe Publikum unter unmittelbaren Zwang von der Gerichtssondereinheit MEG geräumt und bekommt ein Hausverbot. „Das ist albern!“, ruft eine Person aus dem Publikum, die weggetragen wird. Dabei wirft die MEG Stühle um: die Stühle, auf denen Menschen sitzen, und auch einen mit einem Presselaptop darauf. Eine Journalist*in filmt das Rauszerren einer Person mit Gehbehinderung, was ihr vom Richter untersagt wird.
Es ist jetzt sehr leer im Gerichtssaal. Doch zum Glück werden draussen leckere Pfannkuchen gebacken.
Währendessen soll das Verfahren beginnen. Notwendigerweise erst einmal damit, dass die Angeklagten und eine Laienverteidigung die Akteneinsicht beantragen, die ihnen im Vorfeld nicht ermöglicht wurde. Doch dieser Versuch wird abgeschmettert. Der Richter findet, dass Angeklagte und Verteidigung kein Wort sagen sollen. Anträge sollen erst dann gestellt werden, wenn er mit seinem „Programm“ durch ist, und auch danach nur noch schriftlich. Was in diesen Anträgen steht, und dass sie jetzt bearbeitet werden müssten, bevor Tatsachen geschaffen sind, ist dem Richter egal. Das wird mit lauter Kritik des verbliebenen Publikums aufgenommen, dem damit völlig das Verständnis des Prozessablaufs und -inhalts verwehrt werden soll. Doch obwohl wir über Themen, die alle betreffen, verhandeln, nämlich die Freiheit zu protestieren, Autozentrismus und den Klimawandel, soll die Öffentlichkeit anscheinend einfach nicht besonders viel mitbekommen, denn schon werden die nächsten Personen aus dem Saal geräumt. Um mit all dem einen Umgang zu finden beantragen die Angeklagten eine Pause, aber da sie das ja irgendwie tun müssen, ohne sich zu Wort zu melden und auch ohne einen Antrag einbringen zu dürfen, wird hier alles endgültig paradox.
Statt einer Pause wird jetzt auch den drei Angeklagten, die sich nicht erhoben haben, eine „Ungebühr„ nach §178 GVG vorgeworfen. Eine der Angeklagten beginnt, dazu Stellung zu nehmen. Der Richter scheint die Welt nicht mehr zu verstehen: er hatte doch allen das Reden verboten? Die Angeklagte erklärt nichtsdestotrotz, dass gerade dieser Respekt, der durch das Aufstehen demonstriert werden soll, nichts ist, was irgendwem aufgrund einer Machtposition zustünde. Währendessen wird sie vom Richter fortwährend unterbrochen. Als die Angeklagte laut rufend fragt, ob der Richter sich überhaupt für die Klimakrise interessiere, deutet das Gericht das in eine „Ungebühr“ um, und verhängt sieben Tage Ordnungshaft für die Angeklagte, die sofortige Vollstreckung im Anschluss an die Sitzung und die Angeklagte wird des Saales verwiesen. Die Übrigen erkämpfen sich eine kurze Pause.
Im Anschluss daran verändert der Richter seine Maske zu einem stoisch freundlichen Gesicht. Mehrere der Anträge können jetzt zumindest schriftlich eingereicht werden. Darunter ein Antrag nach gendergerechter Gerichtssprache, die gerade deswegen spannend ist, weil sie dem Auto als patriachalem Statussymbol entgegen steht; ein Antrag auf Einstellung, weil gar kein Nötigungsopfer bekannt ist; ein Antrag nach einer Wärmflasche gegen Mens-Schmerzen; und eine Beanstandung der unbegründeten Einlasskontrollen.
Die Einlassungen der Angeklagten beginnen mit Erinnerungen aus dem Dannenröder Forst über die Schönheit des Waldes, die Ungerechtigkeit der Räumung und die Repression, der vielfältig begegnet wurde: von Schneefiguren gegen Wasserwerfer bis zu Autobahnabseilaktionen. Eine weitere Person erklärt die Wirkung von illegalen Protestformen und beantragt eine Protestforscherin dazu zu befragen, sie sich gerade im Publikum befinden soll. Es stellt sich allerdings heraus, dass auch die Protestforscherin im Eifer des Gefechts vom Gericht schon des Saales verwiesen worden war. Es geht weiter mit einer wenig glorreichen Geschichte des Automobils seit 1900 (BPD), gefolgt von einem Zitat des eigentlich technikbegeisterten Arthur C. Clark von 1969: „
Leidenschaftslos betrachtet ist es ein unglaubliches Vehikel, dass in keiner geistig
normalen Gesellschaft geduldet würde! Hätte jemand aus der Zeit vor 1900 die Gelegenheit, die Zufahrtsstraße einer modernen Großstadt an einem Montagmorgen oder Freitagsabend zu sehen, er würde meinen, er sei in der Hölle – und da hätte er gar nicht sehr unrecht.“ Zum Abschluss wird eine ausführliche aktuelle Stellungnahme des Verkehrsexperten Prof. Dr. Monheim verlesen, in der dieser die deutsche Verkehrspolitik argumentativ demontiert und Solidarität mit kreativen Protestformen bekundet.
Das Gericht hört stoisch zu. Währendessen ereignet sich draußen Protest am Fenster, durch das ein Transpi gezeigt wird: Jetzt gibt’s Tunten Terror, heißt es, und: Warum lasst ihr Menschen diversen Genders nicht rein? Draußen muss die mobile Einsatzgruppe rennen und drinnen wird hastig mit Vorhängen hantiert.
Es ist erschütternd und unfassbar, dass eine Aktivistin für eine Woche in Haft genommen wird, weil sie vor einem Richter ihre prozessualen Rechte eingefordert hat. In einer Zeit, in der die Klimakrise unsere Existenz bedroht, ist es absolut ungerecht, diejenigen zu bestrafen, die den Mut haben, auch als Angeklagte laut zu bleiben und kritische Fragen zu stellen.
Kontaktiert das Landgericht Flensburg und sagt ihnen eure Meinung! Und schreibt Ibi Briefe und Postkarten!
Landgericht Flensburg
Südergraben 22
24937 Flensburg
E-Mail: Verwaltung@LG-Flensburg.Landsh.de
Telefon: 0461 89-0
Fax: 0461 89-295
Adresse für solidarische Post:
Ibi (Aktivistin in Ordnungshaft)
AZ am LG FL III NBs 107 Js 27900/20
Justizvollzugsanstalt Lübeck
Marliring 67
23566 Lübeck
Am nächsten Prozesstermin sollen die Zeug*innen vernommen werden – wir treffen uns am Donnerstag, 01.08. um 12:00 zum Picknick vor dem Landgericht in Flensburg. Kommt vorbei, wir freuen uns über Support!