Freitag, 2.8., Achim. Es wird verhandelt wegen einer Autobahnabseilaktion. Aber halt mal: am 1.8. in Flensburg ging es doch auch um eine Abseilaktion an Autobahnen?
Strafprozesse gegen Aktivist*innen gibt es momentan derart viele, dass es unmöglich ist, auch nur ansatzweise den Überblick zu behalten. Von Anti-Atom über Antifa zu Verkehrswende in Lingen, Koblenz, Flensburg, vor Amts- und Landgerichten. Allein die Verfahren gegen Aktive der Letzten Generation füllen lange Tabellen mit bis zu acht Terminen pro Tag. Nachvollziehbar, dass sich für viele Verfahren kaum oder garkeine Journalist*innen mehr interessieren und nachvollziehbar auch, dass auch für Aktive der Bewegung schwer ist zu verfolgen, was nun wo der Stand ist. Wir machen an dieser Stelle dennoch weiter mit Prozessberichten, in der Hoffnung, dass es eben doch noch Menschen interessiert, wie Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte sich so verhalten. Das war nämlich an Tag 3 vor dem Amtsgericht Achim auch wieder bemerkenswert.
So hatte sich die Polizeizeugin auf die Vernehmung vor Gericht vorbereitet, indem sie Fotos früherer erkennungsdienstlicher Behandlungen der Angeklagten aus dem System abgefragt und mitgebracht hatte. Auf die Frage, ob das „einfach so“ ginge, sagte sie, es bräuchte dafür schon einen Grund. Den müsse sie eintragen. Und das sei die Vorgangsnummer, das reiche aus. Allein Angeklagtem und Teilen des Publikums schien aufzufallen, was die Zeugin hier bestätigt hatte: Mehrere Jahre nach Abgabe des Ermittlungsverfahrens von der Polizei an die Staatsanwaltschaft reicht eine schlichte Vorgangsnummer, damit eine aktuell nicht mit Ermittlungen dazu betraute Polizistin auf sämtliche erkennungsdienstlichen Daten bei INPOL zu einer Person zugreifen kann. Spätestens mit den NSU-2.0-Drohschreiben sollte klar sein, wie gefährlich ein solcher Umgang mit hochsensiblen persönlichen Daten ist.
Dass sie sich außerdem mit drei Praktikant*innen von ihr, die den vorherigen Prozesstag im Publikum verfolgt hatten, über den Prozess unterhalten hatte, störte Richterin und Staatsanwalt auch nicht.
Inhaltlich meinte die Zeugin aus Gesprächen mit Kolleg*innen von einem Unfall erfahren zu haben, zu dem es im Stau gekommen sei. Die Verteidigung beantragte eine Aussetzung des Verfahrens, um sich auf die neue Sachlage einstellen zu können. Das lehnte die Richterin ab mit dem Verweis darauf, dass ja bereits ein besonders schwerer Fall der Nötigung angeklagt sei. Das ist einigermaßen bemerkenswert, denn in der Akte auf der die Anklage basiert ist an keiner Stelle von einem Unfall die Rede. Worin die Richterin also bei bisheriger Aktenlage überhaupt die Grundlage sah ein Verfahren wegen schwerer Nötigung zu eröffnen bleibt unklar. Und einen angeblich passierten Unfall nicht als gravierende Veränderung des Vorwurfs zu deuten ist sichtlich von der Intention geprägt, den Prozess nicht unterbrechen zu müssen.
Ebenfalls vorgeworfen wird Hausfriedensbruch. Ziemlich absurd bei einer Brücke (welches Haus?) und noch dazu nach bisheriger Beweislage auch gänzlich unklar, wie die Zugänglichkeit von Leiter und Brücke genau aussah. Aber noch spannender: Hausfriedensbruch braucht zur Verfolgung einen Strafantrag. Es gibt zwar einen, aber der listet ganz bestimmte Delikte auf und Hausfriedensbruch ist nicht dabei, obwohl in dem Formular sogar explizit drinsteht, dass dieser genannt werden muss, wenn er verfolgt werden soll. Diesen Fehler, der als fehlende Voraussetzung zwingend zu einer Einstellung dieses Vorwurfs führen müsste, wischte die Richterin mit der Begründung vom Tisch, der Antrag beschreibe die Tat ausreichend. Danke für dieses Lehrbeispiel, wie der Rechtsstaat funktioniert…
Wegen der vermeintlich durch angebrachtes Klebeband beschädigten Nachtsichtbarkeit des Schildes ist auch Sachbeschädigung am Straßenschild angeklagt. Das war in einem der vorherigen Verhandlungstage schon einmal Thema, da hatte der Angeklagte nämlich darauf hingewiesen, dass die Form der vermeintlich durch die Aktivist*innen beschädigten Flächen überhaupt nicht der Form der auf einem Foto dargestellten Schäden entspräche. Am dritten Tag wurde nun ein Schreiben der Autobahn-GmbH verlesen, was aus Sicht von Richterin und Staatsanwaltschaft als „Urkunde“ gelten würde und daher zur Einführung der vermeintlichen Schadenshöhe reichen soll. Darin steht jedoch nichts weiter als eine grobe Angabe, was ein Tausch des Schildes kosten würde. Ein solcher Tausch hat jedoch mindestens bis zur Erhebung der Anklageschrift nicht stattgefunden, weshalb der Angeklagte eine Ortsbegehung oder eine Einstellung dieses Vorwurfs anregte. Davon wollte der Staatsanwalt aber nichts wissen und auch das Argument, dass es dann zu diesem Themenkomplex keine Beweisanträge mehr geben würde, überzeugte ihn nicht, weil es ja ohnehin „Beweisanträge über Beweisanträge“ geben würde, um das Verfahren zu verschleppen. Weil wir solches Verhalten immer wieder erleben ist es nicht überraschend, aber eben doch entlarvend ehrlich: Beweisanträge pauschal als Verschleppung zu bezeichnen, bevor ein einziger Beweisantrag gestellt wurde.
Freitag, 9.8.24, wieder Achim. Es ist der vierte Verhandlungstag und diesmal dürfen Verteidiger*innen und Angeklagte ihre Version der Geschichte erzählen. Alle Beweisanträge mussten vorab gefaxt werden und die zur Sachbeschädigung und zum Hausfriedensbruch waren wohl direkt zu überzeugend, dass an diesem Tag diese Vorwürfe direkt fallen gelassen wurden. Die Anklage wurde auf den Vorwurf der Nötigung beschränkt – auch deshalb konnte in der öffentlichen Hauptverhandlung dann gar nicht mehr thematisiert werden, dass beispielsweise die Stellen des Schildes, wo die Nachtsichtbarkeit beeinträchtigt war überhaupt nicht der Aufkleberform entsprach und das Schild gar nicht ausgetauscht wurde. Trotzdem konnten zahlreiche Beweisanträge verlesen werden, zu Feinstaub- und Unfallbelastungen durch Autoverkehr, welche die Grundlage für einen rechtfertigenden Notstand bilden aber auch zu anderen Abseilaktionen, bei welchen die Polizei durchaus unterschiedlich handelte.