Knastpost II: Wer oder was verdient Respekt?

Wir haben einen weiteren Brief von Ibi erhalten, indem sie aus ihrer Sicht schildert, wofür sie in Ordnungshaft gesteckt wurde und was sie vorzubringen versucht hat. Aber lest selbst:

Moin zusammen,

jetzt sitze ich also in der JVA in Lübeck, in einer Zelle mit Gitter vorm Fenster durch das noch Sonnenstrahlen kommen. Weil bestimmt wieder über chaotische Verhältnisse im Gericht berichtet wurde, und alle meine Freund*innen schon rausgeflogen waren, möchte ich hier auch meine Perspektive darlegen. Wir sind zu viert angeklagt wegen einer Abseilaktion über der A7, bei der es um den Einsatz für eine Verkehrswende ging. Von einer Verkehrswende sind wir weit entfernt, das haben wir auch bei der Anreise nach Flensburg (8 Stunden von Bremen aus) gemerkt: Überfüllte und ausfallende Züge und Schienenersatzverkehr zeigen, das in die Bahn zu wenig Geld fließt. All das Geld, welches aktuell in Straßen investiert wird, wäre dort weit zukunftsträchtiger angelegt. Das hätte ich auch gerne im Prozess gesagt, Richter Meppen hatte jedoch beschlossen, dass Verteidigung nur stört und uns gleich von Anfang an verboten,Anträge vorzulesen (und teilweise sogar einzureichen).

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Knastpost von Ibi

Uns erreichte gestern, am 23., ein Brief von Ibi, den wir hier mit euch teilen wollen:

20.07.24

Guten Morgen!
Ja Solidarität lässt den Samstag Morgen zu einem guten werden. Ich hab gerade Äpfel und Marmelade geschenkt bekommen, es ist Wochenende und ich hatte schon gedacht, trockene Brötchen sind besser als trockenes Brot. Das einzige an Brotbelag von offizieller Seite war bisher ein bisschen Salami und das habe ich nicht über mich gebracht. Die Äpfel habe ich direkt mit einer anderen geteilt, daraufhin haben wir beide noch mehr von den anderen bekommen. Sie ist am gleichen Tag angekommen wie ich und ihr geht’s sehr schlecht.
Knast ist auch immer organisierte Mangelwirtschaft, ohne gegenseitige Solidarität würde hier einfach nix laufen.

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Prozess und Klimakrise egal, hauptsache wir kriegen sie in den Knast

Unser Berufungsverfahren zu einer Abseilaktion über der A7 bei Schleswig wurde am 18.7. in Flensburg fortgesetzt. Dabei geht es um Protest auf (oder eher über) Autobahnen, wo im Jahr 2020 durch Abseilaktionen und mit Transparenten an Brücken für eine klimagerechte Verkehrswende demonstriert worden war. Ohne ein Urteil sitzt eine der Angeklagten jetzt für sieben Tage in Ordnungshaft – mehr dazu auch hier: Berufungsverhandlung endet ohne Verurteilung im Knast

Prozessbericht vom ersten Verhandlungstag (18.07.2024)

Um 11:30 Uhr treffen sich die Unterstützenden vor dem Flensburger Landgericht. Bei deutschem Schlager und Pfannkuchen läuft das Ganze noch sehr harmonisch an
Doch wenig später beginnt das Gericht entschlossen zu eskalieren: Einlasskontrollen mit Perso-Kopien, Taschendurchsuchungen und Abtasten am ganzen Körper. Jeder Gegenstand, der sich unter Ach und Krach irgendwie werfen ließe, wird schon mal provisorisch konfisziert. Genderqueeren Personen wird eine angemessene Durchsuchung verwehrt, sodass diese von Beginn an keinen Zugang zum Saal haben. Durch die Kontrollen verzögert sich der Beginn der Verhandlung um eine halbe Stunde.
Das Aufstehen bei Betreten des Saals durch den Richter wird eingefordert, wie in der Schule. Nur, dass hier etwa ein Dutzend Menschen gelassen sitzen bleibt. Sofort wird das halbe Publikum unter unmittelbaren Zwang von der Gerichtssondereinheit MEG geräumt und bekommt ein Hausverbot. „Das ist albern!“, ruft eine Person aus dem Publikum, die weggetragen wird. Dabei wirft die MEG Stühle um: die Stühle, auf denen Menschen sitzen, und auch einen mit einem Presselaptop darauf. Eine Journalist*in filmt das Rauszerren einer Person mit Gehbehinderung, was ihr vom Richter untersagt wird.
Es ist jetzt sehr leer im Gerichtssaal. Doch zum Glück werden draussen leckere Pfannkuchen gebacken.
Währendessen soll das Verfahren beginnen. Notwendigerweise erst einmal damit, dass die Angeklagten und eine Laienverteidigung die Akteneinsicht beantragen, die ihnen im Vorfeld nicht ermöglicht wurde. Doch dieser Versuch wird abgeschmettert. Der Richter findet, dass Angeklagte und Verteidigung kein Wort sagen sollen. Anträge sollen erst dann gestellt werden, wenn er mit seinem „Programm“ durch ist, und auch danach nur noch schriftlich. Was in diesen Anträgen steht, und dass sie jetzt bearbeitet werden müssten, bevor Tatsachen geschaffen sind, ist dem Richter egal. Das wird mit lauter Kritik des verbliebenen Publikums aufgenommen, dem damit völlig das Verständnis des Prozessablaufs und -inhalts verwehrt werden soll. Doch obwohl wir über Themen, die alle betreffen, verhandeln, nämlich die Freiheit zu protestieren, Autozentrismus und den Klimawandel, soll die Öffentlichkeit anscheinend einfach nicht besonders viel mitbekommen, denn schon werden die nächsten Personen aus dem Saal geräumt. Um mit all dem einen Umgang zu finden beantragen die Angeklagten eine Pause, aber da sie das ja irgendwie tun müssen, ohne sich zu Wort zu melden und auch ohne einen Antrag einbringen zu dürfen, wird hier alles endgültig paradox.
Statt einer Pause wird jetzt auch den drei Angeklagten, die sich nicht erhoben haben, eine Ungebühr nach §178 GVG vorgeworfen. Eine der Angeklagten beginnt, dazu Stellung zu nehmen. Der Richter scheint die Welt nicht mehr zu verstehen: er hatte doch allen das Reden verboten? Die Angeklagte erklärt nichtsdestotrotz, dass gerade dieser Respekt, der durch das Aufstehen demonstriert werden soll, nichts ist, was irgendwem aufgrund einer Machtposition zustünde. Währendessen wird sie vom Richter fortwährend unterbrochen. Als die Angeklagte laut rufend fragt, ob der Richter sich überhaupt für die Klimakrise interessiere, deutet das Gericht das in eine „Ungebühr“ um, und verhängt sieben Tage Ordnungshaft für die Angeklagte, die sofortige Vollstreckung im Anschluss an die Sitzung und die Angeklagte wird des Saales verwiesen. Die Übrigen erkämpfen sich eine kurze Pause.
Im Anschluss daran verändert der Richter seine Maske zu einem stoisch freundlichen Gesicht. Mehrere der Anträge können jetzt zumindest schriftlich eingereicht werden. Darunter ein Antrag nach gendergerechter Gerichtssprache, die gerade deswegen spannend ist, weil sie dem Auto als patriachalem Statussymbol entgegen steht; ein Antrag auf Einstellung, weil gar kein Nötigungsopfer bekannt ist; ein Antrag nach einer Wärmflasche gegen Mens-Schmerzen; und eine Beanstandung der unbegründeten Einlasskontrollen.
Die Einlassungen der Angeklagten beginnen mit Erinnerungen aus dem Dannenröder Forst über die Schönheit des Waldes, die Ungerechtigkeit der Räumung und die Repression, der vielfältig begegnet wurde: von Schneefiguren gegen Wasserwerfer bis zu Autobahnabseilaktionen. Eine weitere Person erklärt die Wirkung von illegalen Protestformen und beantragt eine Protestforscherin dazu zu befragen, sie sich gerade im Publikum befinden soll. Es stellt sich allerdings heraus, dass auch die Protestforscherin im Eifer des Gefechts vom Gericht schon des Saales verwiesen worden war. Es geht weiter mit einer wenig glorreichen Geschichte des Automobils seit 1900 (BPD), gefolgt von einem Zitat des eigentlich technikbegeisterten Arthur C. Clark von 1969: Leidenschaftslos betrachtet ist es ein unglaubliches Vehikel, dass in keiner geistig
normalen Gesellschaft geduldet würde! Hätte jemand aus der Zeit vor 1900 die Gelegenheit, die Zufahrtsstraße einer modernen Großstadt an einem Montagmorgen oder Freitagsabend zu sehen, er würde meinen, er sei in der Hölle – und da hätte er gar nicht sehr unrecht.“ Zum Abschluss wird eine ausführliche aktuelle Stellungnahme des Verkehrsexperten Prof. Dr. Monheim verlesen, in der dieser die deutsche Verkehrspolitik argumentativ demontiert und Solidarität mit kreativen Protestformen bekundet.
Das Gericht hört stoisch zu. Währendessen ereignet sich draußen Protest am Fenster, durch das ein Transpi gezeigt wird: Jetzt gibt’s Tunten Terror, heißt es, und: Warum lasst ihr Menschen diversen Genders nicht rein? Draußen muss die mobile Einsatzgruppe rennen und drinnen wird hastig mit Vorhängen hantiert.

Es ist erschütternd und unfassbar, dass eine Aktivistin für eine Woche in Haft genommen wird, weil sie vor einem Richter ihre prozessualen Rechte eingefordert hat. In einer Zeit, in der die Klimakrise unsere Existenz bedroht, ist es absolut ungerecht, diejenigen zu bestrafen, die den Mut haben, auch als Angeklagte laut zu bleiben und kritische Fragen zu stellen.

Kontaktiert das Landgericht Flensburg und sagt ihnen eure Meinung! Und schreibt Ibi Briefe und Postkarten!
Landgericht Flensburg
Südergraben 22
24937 Flensburg
E-Mail:   Verwaltung@LG-Flensburg.Landsh.de 
Telefon:  0461 89-0
Fax:      0461 89-295
Adresse für solidarische Post:
Ibi (Aktivistin in Ordnungshaft)
AZ am LG FL III NBs 107 Js 27900/20
Justizvollzugsanstalt Lübeck
Marliring 67
23566 Lübeck
Am nächsten Prozesstermin sollen die Zeug*innen vernommen werden – wir treffen uns am Donnerstag, 01.08. um 12:00 zum Picknick vor dem Landgericht in Flensburg. Kommt vorbei, wir freuen uns über Support!

Berufungsverhandlung endet ohne Verurteilung im Knast

Das Landgericht Flensburg, konkret der vorsitzende Richter Meppen, hat heute (18.7.24) Mittag in einer Berufungsverhandlung eine der angeklagten Personen wegen „Ungebühr“ (sie wollte Anträge stellen und ausreden dürfen) für eine Woche (!!) in Ordnungshaft gesteckt.

Wir bitten euch: Kontaktiert das Landgericht Flensburg und sagt ihnen eure Meinung! Und schreibt Ibi Briefe und Postkarten!

Landgericht Flensburg
Südergraben 22, 24937 Flensburg
• E-Mail : Verwaltung@LG-Flensburg.Landsh.de
• Telefon : 0461 89-0
• Fax : 0461 89-295

Adresse für solidarische Post:

Ibi (Aktivistin in Ordnungshaft AZ am LG FL III NBs 107 Js 27900/20)
Justizvollzugsanstalt Lübeck
Marliring 67
23566 Lübeck

Voraussichtliche Dauer der Haft ist bis zum 25.7.2024

 

Es folgt die Pressemitteilung zu den Ereignissen des Tages:

Heute, am 18.07. 2024, fand am Landgericht Flensburg der erste Berufungsverhandlungstag gegen vier Verkehrswende-Aktivist*innen statt. Für eine der Angeklagten endete der Verhandlungstag im Gefängnis. Irene T. sitzt nun eine ganze Woche in Ordnungshaft, weil sie für ihre prozessualen Rechte kämpfte.

Schon bevor die Verhandlung startete war klar, dass heute rauerer Ton herrschte – noch rauer als am Flensburger Gericht üblich. Wer als diverse Person auf das Recht bestand, bei der Einlasskontrolle von einem Arzt oder einer Ärztin durchsucht zu werden, wurde gar nicht erst eingelassen. Wer sich aus Protest gegen diese Diskriminierung bei Betreten des Gerichtes nicht erhob, wurde kurzerhand und ohne Verwarnung des Saals verwiesen. Die meisten Personen wurden von der Justiz aus dem Saal getragen.

Den Zuschauenden ist noch immer unklar, warum Irene T. in Ordnungshaft musste. „Es ist lächerlich, dass sie abgeführt wurde! Es gab dafür keine Grundlage. Irene wollte lediglich Anträge stellen, die zu Beginn der Verhandlung gestellt werden müssen, weil sie danach unwirksam werden. Das hat dem Richter wohl nicht gepasst“, sagt Zuschauerin Verena Gobisch. „Richter Meppen war es einfach völlig egal, ob das Publikum der Verhandlung folgen kann oder nicht.“, ergänzt sie.

„Wir glauben gar nicht an Gerichte, aber wenn die Justiz schon der Meinung ist, solche Prozesse führen zu müssen, soll sie sich doch wenigstens an ihre eigenen Regeln halten!“, meint Mitangeklagte*r Joe U. „Wir glauben auch nicht, dass Knäste irgendwelche Probleme lösen, eher verschärfen sie sie. Deshalb müssen Irene und alle anderen Gefangenen freigelassen werden!“

Anlass der Verhandlung ist eine Abseilaktion über der A7 bei Schleswig. Am 27.11.2020 seilten sich in Solidarität mit der Räumung des Dannenröder Forstes bundesweit Gruppen an Autobahnbrücken ab, um Banner mit Aufschriften wie „Mit Vollgas in die Klimakatastrophe…? Jetzt umsteuern!“ aufzuspannen. Die hier Angeklagten waren im Dezember 2022 vom Amtsgericht Schleswig zu jeweils 60 Tagessätzen Geldstrafe à 20€ verurteilt worden. Dagegen hatten sie Berufung eingelegt, sodass es zu der heutigen Verhandlung kam.

Weitere Termine sind angesetzt für
den 01.08., 13:00 Uhr
den 15.08., 10:30 Uhr
den 29.08., 10:30 Uhr
den 12.09. 10:30 Uhr,
jeweils in Sitzungssaal 0 des Lanfgerichts Flensburg, Südergraben 22, 24937 Flensburg.
 

Prozess wegen Abseilaktion zur Verkehrsministeri Konferenz in der Nähe von Bremen

NEUER TERMIN: nachdem die 2 Verhandlungstermine am 21.03. abgesagt wurde, haben nun zwei der Angeklagten, welche über der A27 hingen, einen neuen Verhanldungstermin für den 17.07.2024 am AG Achim ab 12:00 bekommen (Saal A 1.18.) Für die andere Gruppe steht noch kein Termin fest.

Im April 2021 stießen die Verkehrsminister*innen bei ihrem Treffen in Bremen erst mal auf Stau: Über allen Autobahnen, welche nach Bremen führten hingen zeitgleich Menschen mit Transparenten, beklebten teilweise die Schilderbrücken der Autobahnen mit neuen Inhalten. Fünf von uns werden deshalb nun in zwei Prozessen vor dem Amtsgericht Achim angeklagt.

Angeklagt ist ein besonders schwerer Fall der Nötigung – das heißt auch die Staatsanwaltschaft fordert eine Haftstrafe. Die Rechtsprechung zu Autobahnabseilaktionen ist bisher sehr widersprüchlich – es gibt also vermutlich spannende Prozesse. Vor Gericht stehen auch hier natürlich wieder diejenigen, die eine Mobiltätswende fordern und teilweise selbst umsetzen, aber nicht die Verkehrsminister*innen, welche jahrelang die Klimaziele brechen und dafür sorgen, dass die Emissionen im Verkehr immer weiter steigen. Der tagtägliche motorisierte Individual- und Güterverkehr führt derweil weiter zu Toten durch Feinstaub oder Unfälle. Wir versprechen euch: Auch das wird im Prozess Thema sein – auch wenn wir nicht fordern, dass irgendwer bestraft gehört. Denn wir wissen: Strafe ändert weder uns noch irgendwen anders.

Wir freuen uns über weitere Aktionen gegen Autobahnen und Autoindustrie, rund um die Prozesse und unabhängig davon, aber auch wenn ihr den Prozess selbst kreativ begleiten möchtet.