Knastpost II: Wer oder was verdient Respekt?

Wir haben einen weiteren Brief von Ibi erhalten, indem sie aus ihrer Sicht schildert, wofür sie in Ordnungshaft gesteckt wurde und was sie vorzubringen versucht hat. Aber lest selbst:

Moin zusammen,

jetzt sitze ich also in der JVA in Lübeck, in einer Zelle mit Gitter vorm Fenster durch das noch Sonnenstrahlen kommen. Weil bestimmt wieder über chaotische Verhältnisse im Gericht berichtet wurde, und alle meine Freund*innen schon rausgeflogen waren, möchte ich hier auch meine Perspektive darlegen. Wir sind zu viert angeklagt wegen einer Abseilaktion über der A7, bei der es um den Einsatz für eine Verkehrswende ging. Von einer Verkehrswende sind wir weit entfernt, das haben wir auch bei der Anreise nach Flensburg (8 Stunden von Bremen aus) gemerkt: Überfüllte und ausfallende Züge und Schienenersatzverkehr zeigen, das in die Bahn zu wenig Geld fließt. All das Geld, welches aktuell in Straßen investiert wird, wäre dort weit zukunftsträchtiger angelegt. Das hätte ich auch gerne im Prozess gesagt, Richter Meppen hatte jedoch beschlossen, dass Verteidigung nur stört und uns gleich von Anfang an verboten,Anträge vorzulesen (und teilweise sogar einzureichen).

Mein Verteidiger hatte keine Akteneinsicht, um die Verteidigung und Zeugenbefragung vorzubereiten, einen Antrag dazu wollte das Gericht jedoch nicht entscheiden, genauso wenig wie Anträge zu einschüchternden, diskriminierenden Einlasskontrollen oder auch dem Antrag, das ich aufgrund meiner Menstruation eine Wärmflasche gegen die Schmerzen wollte. Natürlich habe ich mich darüber aufgeregt, wollte dazu Stellung nehmen und das formell beanstanden (die vorgeschriebene Form bei Gericht, wenn man findet, dass das was der Richter macht rechtswidrig ist) Statt mich das machen zu lassen, verhängte das Gericht (die Schöffinnen nickten das wohl auch einfach ab) 7 Tage Ordnungshaft und ließ mich aus dem Gerichtssaal entfernen – die Höchststrafe wegen sogenannter „Ungebühr“. Aber im Vergleich zu den anderen hier in U-Haft ist es wenig, auch wenn es trotzdem noch absurd ist für das Einfordern von Rechten und weil ich nicht aufgestanden bin bei Eintritt des Gerichts und Vereidigung der Schöffin. Einer Vereidigung auf Grundgesetz und Verfassung, die eigentlich auch für Angeklagte Rechte vorsehen. Und ich soll aufstehen dafür, dass sie im nächsten Augenblick genau das mit Füßen treten? Ich habe mir die Gesetze weder ausgesucht noch gemacht, aber ich kann keinen Respekt für ein Gericht haben, welches sich nicht mal ans eigene hochgehaltene Regelwerk hält, da siegt dann meistens meine Verachtung dafür.

Naja, und deshalb, weil ich finde, dass in der Welt Respekt für alle gleichermaßen gelten sollte und wir unsere Probleme diskutieren und lösen sollten, statt Kritik abzustrafen und zum Schweigen zu bringen, sitze ich jetzt in einer 8m²-Zelle. Auf dem Weg hierhin habe ich aus dem Fenster geschaut, auf der Autobahn unter der angeblichen Tatort-Brücke gegrinst und dann Leute auf dem Fahrrad oder zu Fuß um ihre Freiheit beneidet. Witzigerweise nicht die Leute in ihren Blechbüchsen-Autos, die habe ich eher bemitleidet, dass sie den Aufenthalt darin als Freiheit einstufen. Ich hasse es eingesperrt zu sein, aber ich will auch echte Freiheit, jenseits von Konsumzwang, mit großen autofreien Plätzen, Städten mit Grün statt Straßen, Bahnen, die fahren, kostenlosem öffentlicher Nahverkehr für alle und den Traum davon und Kampf darum will ich nicht aufgeben – auch wenn ich gerade unfreier bin als sonst. Aber irgendwer muss doch dem rechten Mainstream was entgegensetzen.

Und so bin ich hier, eine andere neu Angekommene heult die ganze Zeit – „Inhaftierungsschock“ heißt sowas offiziell, das Rausreißen aus gewohnter Umgebung und Einsperren. Zwei andere versuchen sie am Fenster zu beruhigen (das ist mega cool mit einer Mischung aus Englisch und Deutsch, auch wenn Russisch hilfreicher wäre), die Schließer*innen haben sie natürlich über nichts (geschweige denn in ihr verständlicher Sprache) informiert – übliches Prozedere im Knast.

Ich versuch den Kopf oben zu halten und Kraft aus meinen Überzeugungen zu ziehen – schließlich bin ich hier, weil ich ihr Herrschaftssystem ablehne und dafür in mir was brennt – bisher klappt das ganz gut.

Viele liebe Grüße

Ibi